Merkel, Gauck, und die Gefahr einer neuen Lebenslüge
Von Gernot Facius
Die Geschichte kennt keine Verschnaufpausen. Ein Vierteljahrhundert nach der epochalen europäischen „Wende" steht das wiedervereinigte Deutschland vor einer neuen, gigantischen Herausforderung, sie ist mit dem Wort „Flüchtlingskrise" ungenau beschrieben.
Es geht eher um eine Krise der Politik. Sie hat es nicht verstanden, Gefühle und Verstand in die richtige Relation zueinander zu setzen. Herausgekommen ist ein Kontrollverlust in der Staatsführung.
Die Medien, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind kein Korrektiv. Im Gegenteil, ein billiger Betroffenheits-Journalismus mit seiner Fixierung auf das Emotionale wird zur Mode. Flüchtling, Asylbewerber, Vertriebener, Migrant, Zuwanderer etc.? Politikern und Meinungsmachern geht die Gabe der Unterscheidung ab.
ZDF-Moderator Peter Hahne wollte kürzlich vom SL-Sprecher Bernd Posselt wissen, ob man die deutschen Heimatvertriebenen mit den Menschen, die heute unter anderem aus Syrien nach Europa kommen, vergleichen könne?
Posselt hat korrekt geantwortet: Vergleichen müsse man, Gleichsetzen führe aber in die Irre. Denn der Unterschied zu 1945 / 1946 müßte eigentlich jedem einleuchten: Damals kamen Menschen gleicher Sprache, gleicher Kultur und gleichen Glaubens in ein vom Krieg versehrtes Deutschland, demütig und ohne große Ansprüche - anders als viele sich aggressiv-fordernd gebärdende Ankömmlinge vor allem aus dem islamischen Kulturkreis.
„Der Ansatz irregeleiteter Ideologen", hat Posselt gesagt, „altes trotz seiner Verschiedenheit in einen großen Topf namens Einwanderung zu verrühren, wird den Betroffenen nicht gerecht und droht schon jetzt in manchen Teilen Europas zu explodieren."
Recht hat er mit dieser Beschreibung. Daraus sollte man Konsequenzen ziehen, ohne die Kritiker von Angela Merkels Mantra „Wir schaffen das" in die politische Schmuddelecke zu stellen. Denn der Terminus „Flüchtlingskrise" ist geeignet, den wahren Sachverhalt zu vernebeln: Die deutsche Politik hat die Tore für alle Mühseligen und Beladenen dieser Welt weit geöffnet. Und in perfider Weise werden zur Rechtfertigung dieser „Alternativlosigkeit" die ehemaligen Flüchtlinge vor der braunen Flut und die deutschen Vertriebenen bemüht.
Die Erinnerungen an sie glichen Trompetenstößen, hat der Kommentator der „Welt" angemerkt: „Kurz und signalhaft sollen sie die Mehrheit der Einheimischen auf die ,Willkommenskultur` einstimmen, der man sich spürbar nicht sicher ist, sonst würde man sie nicht täglich loben." Zwischentöne seien nicht erwünscht.
Die Nazi-Vergangenheit muß wieder einmal herhalten, um eine offene Debatte zu verhindern. Ließe man sie zu, würde jeder Zuhörer bald merken, wie schief und fragwürdig es ist, die Flüchtlinge und Vertriebenen der dreißiger, vierziger und frühen fünfziger Jahre mit den heutigen zu vergleichen. Der Versuchung zu politischer Korrektheit ist inzwischen auch mancher Repräsentant der Vertriebenenverbände erlegen.
Da muß man den Vizepräsidenten des BdV, Christian Knauer, loben, wenn er vor einer Relativierung des Unrechts der Vertreibung warnt. Die Gleichsetzung etwa der Sudetendeutschen, Schlesier oder Ostpreußen mit den Wirtschaftsflüchtlingen wäre eine Beleidigung der deutschen Opfer.
Kein Zweifel, wer das Recht auf politisches Asyl ernst nimmt, der muß es schützen; er muß alles dafür tun, daß auch nur den Menschen Asyl gewährt wird, an die die Autoren des deutschen Grundgesetzes gedacht haben. Nur dieses Recht gilt unbegrenzt. Zusammen mit den anderen Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention sieht es auch die Ablehnung von Asylgewährung vor.
Wer sich weigert, sich registrieren zu lassen, wie es jetzt massenhaft geschah, darf nach geltendem Recht sofort zurückgeschickt werden. „Warum geschieht das nicht?" („Welt"). Es ist ja wahr: Viele der Ankömmlinge sind traumatisiert, vor allem die aus Syrien.
Traumatisiert waren auch Opfer der Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland. Dennoch ist es nicht zu skandalösen Exzessen gekommen, wie sie jetzt aus provisorischen Unterkünften bekannt wurden.
„Muslime mobben Christen, Sunniten pöbeln gegen Schiiten, Araber verachten die Schwarzafrikaner, tschetschenische Islamisten bedrängen liberale Syrer. Männer betrachten Frauen als Jagdwild.
Nicht alle Flüchtlinge macht es friedlich und freundlich, wenn sie von einem friedlichen und freundlichen Deutschland empfangen werden." („Süddeutsche Zeitung"). Für Österreich dürfe Ähnliches gelten. Im übrigen sollte nicht vergessen werden:
Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene haben allen Verlockungen von politischen Extremisten und von sonstigen Scharfmachern widerstanden, im Falle der jetzt über die deutschen Grenzen strömenden Menschen ist Vergleichbares noch nicht so sicher.
Das friedliche Zusammenleben von Angehörigen unterschiedlicher Kulturen setzt eben eine gemeinsame politische Kultur voraus - und das kann nur die des deutschen Grundgesetzes beziehungsweise der des Westens sein.
Zur deutschen Verantwortung gehört, hat der emeritierte Berliner Historiker Heinrich August Winkler seinen Landsleuten einzuschärfen versucht, „daß wir uns von der moralischen Selbstüberschätzung verabschieden, die vor allem sich besonders fortschrittlich dünkende Deutsche aller Welt vor Augen geführt haben. Der Glaube, wir seien berufen, gegebenenfalls auch im Alleingang, weltweit das Gute zu verwirklichen, ist ein Irrglaube. Er darf nicht zu unserer Lebenslüge werden".
Es sieht so aus, als habe auch Bundespräsident Joachim Gauck den Ernst der Lage erkannt. Damit Deutschland weiterhin ein Zufluchtsort für (wirkliche) Flüchtlinge sein kann, „müssen Staaten und ein Staatenverbund wie die Europäische Union ihre äußeren Grenzen schützen. Denn nur so können sie die Kernaufgaben eines staatlichen Gemeinwesens erfüllen: die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und letztlich des inneren Friedens. Sie sind die Voraussetzung dafür, überhaupt Flüchtlinge in großer Zahl aufnehmen zu können".
Dieser Akzent, konstatierte die „Frankfurter Allgemeine", korrigiere die Schieflage einer Debatte, das von Heinrich August Winkler beklagte „eigentümlich Verstiegene" jener Stimmen, die im Sog der Bahnhofsbegrüßungen ein Bleiberecht für alle herbeireden und damit auch die bewundernswerten freiwilligen Helfer zu nützlichen Idioten einer verantwortungslosen Utopie herabwürdigten".
Zur „Schieflage" gehört auch die unreflektierte Dauerkritik an Ungarn und den Behelfslagern („Elendslager" genannt) am Budapester Ostbahnhof. Weitgehend ausgeblendet wurde in den Medien, daß die Migranten sich geweigert hatten, in die für sie vorgesehenen Registrierungslager zu gehen.
In der Tat, sie haben sich nicht verhalten wie Flüchtlinge, die verpflichtet sind, sich an die Gesetze und Regeln eines Landes zu halten, in dem sie Schutz suchen; sie nahmen vielmehr ein vermeintliches Recht in Anspruch, nach Deutschland weiterzureisen.
Gegen Ungarn und seinen Ministerpräsidenten Viktor Orban zu stänkern, ist heute schon normal. Zumal in deutschen Medien. Gewiß, es waren keine schönen Bilder von den Zwischenfällen am 16. September am Grenzübergang Horgos-Röszke, als die ungarischen Behörden Zwangsmittel einsetzten. Allerdings gingen Fernsehstationen wieder einmal selektiv vor.
Was auf den in Deutschland ausgestrahlten Bildern nicht gezeigt wurde: Wasser und Tränengas richteten sich nicht gegen eine friedliche Demonstration, sondern gegen eine Menge, aus der mit Steinen und Betonbrocken geworfen wurde und durch die zwei Dutzend Polizisten verletzt wurden", resümierte der „FAZ“-Korrespondent.
Aber das paßt nicht ins Denkmuster der gutmenschlichen Utopisten.
Dieser Kommentar von Gernot Facius erschien in der Sudetenpost Folge 10 vom 8. Oktober 2015.
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