Es gibt einen "Treffpunkt Südmähren" !
Am Samstag, dem 24. Oktober, wurde der aus dem Heimatmuseum der Südmährer entwickelte "Treffpunkt Südmähren" im Alten Rathaus in Geislingen - neben der Geschäftsstelle - eröffnet.
Landschaftsbetreuer Franz Longin sprach an diesem denkwürdigen Tag der feierlichen Präsentation der Dokumentation zur Vertreibung aus Südmähren und Südböhmen nach 70 Jahren. Wenn heute gewöhnlich von Einweihung die Rede sei, gehe es nur um Eröffnungen. Die Südmährer hingegen wünschten eine wirkliche Weihe, deren ihre Unternehmung auch bedürfe.
Er dankte den Spendern, die zu der Realisierung beigetragen haben, insbesondere dem Land Baden-Württemberg, der Stadt Geislingen für die bisherige Unterstützung und besonders Frau Emma Maria Sachse, die einen Teil ihres Erbes beigesteuert hatte.
Franz Longin begrüßte Ministerialdirigent Herbert Hellstern vom Innenministerium, Oberbürgermeister Frank Dehmer, Dekan Martin Ehrler, die Gestalter der Dokumentation, Architekt Hannes Bierkämper (Stuttgart) und Kulturwissenschaftler Frank Lang (Vaihingen/Enz), Dr. Christine Absmeier vom baden-württembergischen Haus der Geschichte, Vertreter des Bundes der Vertriebenen und des Kulturverbandes der Südmährer in Österreich und der Stadt Geislingen und ganz besonders herzlich Frau Dr. Ilse Tielsch, Südmährens Dichterstimme, aus Wien.
Franz Longin gedachte der Vertreibung der Südmährer im Mai 1945, als die Deutschen ihr Hab und Gut und manche auch sich selbst zurücklassen mußten. Das eine oder andere Erinnerungsstück, das sie im ausgeplünderten schmalen Gepäck mitnehmen konnten, stifteten sie dem Geislinger Museum. Eine Auswahl davon präsentiere die neugestaltete Dokumentation. Die Bewahrung des Kulturerbes sei nun in eine Darbietungsform gebracht worden, welche den Ansprüchen kommender Betrachter genügt.
Als Erinnerung an die Südmährer soll dieses Erbe der Stadt und ihren Bewohnern erhaltenswert bleiben, die Geschichte der Stadt soll hier, an den Wegmarken, welche die Südmährer gesetzt haben, Anschluß und Fortsetzung finden. Der Patenschaft wünschte er weiterhin Gedeihen auf gleicher kultureller Basis.
Oberbürgermeister Frank Dehmer zeigte sich erfreut, daß mit der Dokumentation Wertvolles erhalten werde. Er betonte die gute Zusammenarbeit mit den Südmährern und erwartete einen Ort der Begegnung, der über das Schicksal der Südmährer Auskunft gebe. Abschließend überreichte er zum Einstand Brot und Salz, Zeichen für das Lebensnotwendige, zu dem Heim und Heimat gehören.
Hannes Bierkämper und Frank Lang erläuterten ihr Konzept, bei dem mit einer mäßigen Anzahl von Objekten bestimmte Schwerpunkte gesetzt und eine Verzettelung in Einzelheiten vermieden werden sollte. Auch sollten die Besucher nicht von Textmassen überschwemmt oder ermüdet werden. Stattdessen seien einzelne "sprechende" Gegenstände als zum Darüberreden und Diskutieren anregend gedacht.
Heutigen Ansprüchen werde man durch Zugriff auf Datenspeicher gerecht, die z.B. Bilder und Fakten zu den einzelnen Gemeinden Südmährens bereithalten. Damit soll der "Treffpunkt" zu Begegnungen führen, die in Frage und Antwort Gehalt und Botschaft der Dinge erschließen.
Franz Longin bat Dr. Ilse Tielsch, Südmährens dichterisches Herz, um einige Worte an die Versammlung. Sie erinnerte an ihre Verbundenheit mit dem südmährischen Treffpunkt Geislingen, den sie seit vielen Jahren zu den Veranstaltungen und Festlichkeiten der Südmährer gerne besucht hat. In herzlichem Ton gab sie ihrer Freude über das realisierte Projekt Ausdruck.
Dekan Martin Ehrler versammelte die festliche Gemeinde zu Gesang und Gebet, dann durchschritt er zur Weihe die neugestalteten Räume.
Zuletzt bewegten sich die Anwesenden durch die Ausstellung. Um die Eingangstür sind bis zur Decke kleine Schaufenster in die eingefügte Wand eingelassen, in denen merkwürdige Gegenstände wie eine Goldhaube oder ein Spinnrad zu erstem Fragen Anlaß geben.
Eine kleine Holztruhe, ein Rucksack oder der kleine weiße Stoffleck mit dem schwarzen N (für Nemec = Deutscher) geben Zeugnis davon, wie Vertreibung durchgeführt wurde. Zitate aus dem Roman "Ahnenpyramide" von Ilse Tielsch ziehen sich an den Wänden über den Exponaten durch die ganze Ausstellung und spiegeln das Schicksal der Heimatvertriebenen im dichterischen Wort.
Bei der Beschriftung befleißigt man sich an heikler Stelle zukunftssicherer Tendenz, indem zu einem Damenfächer, auf dem Porträts von Kaiser Franz Joseph und Kaiser Wilhelm II. zu sehen sind, anmerkt, die beiden hätten den ersten Weltkrieg "entfacht", sozusagen als Komplizen einer Brandstiftung.
Gerald Frodl
Die Dokumentation ist nach telefonischer Anmeldung (Tel. +49 (0) 7331 43 893)
werktags von 10 bis 12 Uhr und von 15 bis 17 Uhr zu sehen.