Gespeichert von Nechvatal am Mo., 11.04.2016 - 11:35

Wer A sagt…

von Manfred Maurer

EIN TSCHECHISCHER MINISTERPRÄSIDENT zeichnet eine Vertriebenen-Funktionärin mit einer tschechischen Verdienstmedaille aus. Vor nicht allzu langer Zeit wäre das noch völlig undenkbar gewesen. Bohuslav Sobotka hat genau das getan. Und Olga Sippl, die Ehrenvorsitzende der Seliger-Gemeinde, mußte dafür nicht einmal nach Prag fahren, sondern der tschechische Regierungschef kam zu ihr nach München.

SOBOTKAS ZEICHEN fügt sich ein in eine Serie von Versöhnungssignalen tschechischer Politiker. Im letzten Sommer war der Christdemokrat und Vizepremier Pavel Belobradek auf Einladung von Sprecher Bernd Posselt im Sudetendeutschen Haus in München, wo er - unter wütendem Protest der Kommunisten daheim - der Opfer der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg gedachte. Zuvor schon hatte Belobradek während des sudetendeutschen Pfingsttreffens in Augsburg eine Grußbotschaft an „seine Landsleute" gesendet. Auch so etwas wäre vor ein paar Jahren noch völlig undenkbar gewesen.

VON BELOBRADEKS BESUCH im Sudetendeutschen Haus hatte sich Sobotka im Vorjahr noch distanziert. Es ist offenbar einiges in Bewegung gekommen.

SIE TRÄGT ALSO unübersehbar Früchte, die von der Bayerischen Staatskanzlei und von der Münchener Hochstraße orchestrierte, von manchen Vertriebenen durchaus kritisch gesehene Politik der kleinen Annäherungsschritte. Im Umgang miteinander werden die negativen Emotionen der Vergangenheit immer mehr durch positive Emotionen überlagert. Es wird auf die Sudetendeutschen nicht ohne Eindruck bleiben, wenn ein tschechischer Premier eine der Ihren auszeichnet.

Den vielen Vertriebenen geht es ja in erster Linie um Respekt und um die Anerkennung ihres Leide(n)s. Jahrzehntelang waren sie kollektiv, also ohne Rücksicht auf individuelles Verschulden, als Hitlers Fünfte Kolonne diskreditiert worden. Und nun, spät, aber doch, gibt es allerorten Zeichen der Versöhnung, ja sogar der Entschuldigung. Das tut der traumatisierten Psyche gut. Das schafft Boden für nachhaltige Aussöhnung.

DAZU WÄRE ES wahrscheinlich nicht gekommen, hätte Bernd Posselt nicht den Weg der sanften Worte gewählt. Seine Rechnung ist aufgegangen. Die Sudetendeutsche Frage wird nicht mehr als ewiger Konflikt wahrgenommen, sondern als eine Geschichte der Aussöhnung. So wie man sich das in einem Europa wünscht, das mit immer neuen Konflikten konfrontiert wird. Wie sollen wir die neuen Megaprobleme gemeinsam in den Griff kriegen, wenn wir noch nicht einmal die aus der Nachkriegszeit bewältigt haben?

DER DANK IST diesen Versöhnungspolitikern sicher. Und die Bedenkenträger, die es unter den Vertriebenen auch noch gibt, werden flugs ins rechtsextreme Eck gestellt, egal, ob sie wirklich dorthin gehören oder nicht. Denn sie stehen einfach im Weg mit ihren Forderungen, die man in Prag noch immer gar nicht gern hört.

UNGEACHTET DES wundersam verbesserten Klimas gilt es daher auch dieses festzuhalten: Zum ganz großen Versöhnungscoup fehlen noch ein paar „Kleinigkeiten". Das, was bisher geboten wurde, fällt unter die Rubrik „atmosphärische Verbesserungen". Es sind vor allem vielbeachtete Gesten, welche ans sudetendeutsche Herz gehen. Das sollte nicht kleingeredet werden, wenn man bedenkt, daß all das erst seit kurzem möglich ist. Doch zur echten, nämlich ehrlichen Aussöhnung braucht es noch ein paar mehr Ingredienzien.

Wer „A" wie Auszeichnung von Sudetendeutschen sagt, der darf sich nicht davor drücken, auch „B“ wie Beneš-Dekrete zu sagen - und noch einmal „A" wie Aufhebung. Es kann doch nicht sein, daß man sich auf der einen Seite mit den Vertriebenen versöhnen und deren ungerechte Behandlung auch anerkennen, aber die formale Grundlage dieses Unrechtes nicht ohne Wenn und Aber aus der Welt schaffen will.

Das Gleiche gilt für das Straffreistellungsgesetz. Diesen Widerspruch kann die tschechische Politik auch nicht mit Hinweisen, wie die Beneš-Dekrete seien ohnehin totes Recht, neutralisieren. Ja, wenn es stimmt, daß sie totes und nicht bis heute angewandtes Recht sind, dann sollte es doch umso leichter fallen, dieses „Recht" ein für allemal auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen, anstatt es als stinkenden Müll vor der Haustür stehen zu lassen. Das wäre keine bloße Formalität, sondern der Beweis, daß Tschechien willens ist, den vielen Versöhnungsgesten echtes, nicht nur virtuelles Leben einzuhauchen.

 

Dieser Kommentar von Manfred Maurer erschien in der Sudetenpost Folge 4 vom 7.April 2016.

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